Digitalisierung bei Krankenkassen – Die Krankenkassen als Gesundheitslotse?

Digitalisierung bei den Krankenkassen

Die Krankenkasse in der Zukunft ein Präventionsspezialist?

Derzeit beschränkt sich die für die Versicherten wahrnehmbare Rolle der Krankenkassen darauf, dass sie unsere Arztrechnungen bezahlen. Dazu müssen sie eine Fülle von Daten aufnehmen und verwalten und allein darin liegt schon ein großes Veränderungspotenzial. Was wäre, wenn sie in Zukunft diese Daten nutzen könnten, um von der verwaltenden Rolle in eine aktive beratende Rolle zu kommen. Die Krankenkassen könnten für den Patienten die Lotsen durch das Gesundheitssystem werden, um ihnen bewährte Therapien zu empfehlen und sie vor wenig erfolgversprechenden Ansätzen zu warnen. Vor allem aber könnten sie mit ihrer vorhandenen Datenfülle zu echten Präventionsspezialisten werden und ihre Versicherten vor Gesundheitsrisiken schützen.

Digitalisierung bei den Krankenkassen

Ich sprach mit Gregor Drogies, dem Referatsleiter für Gesundheits- und Versorgungsmanagement der DAK darüber, wo die Krankenkassen derzeit bei der Digitalisierung stehen und wo die Reise hingeht. Dabei kamen wir auf die neue Erkrankung „eHypochondrie“ zu sprechen und philosophierten darüber, ob der Datenschutz in seiner derzeit praktizierten Form die Menschen schützt oder ihnen eher schadet.

Referatsleiter Gregor Drogies
Referatsleiter Gregor Drogies

Interview mit Gregor Drogies dem Referatsleiter für Gesundheits- und Versorgungsmanagement der DAK

Lieber Herr Drogies. Wie digital ist denn die DAK?

Gregor Drogies: Die DAK hat der Digitalisierung sehr früh den notwendigen Raum in ihrer Organisation und Strategie gegeben. So gehört zum Beispiel die konsequente Nutzung der digitalen Innovationen zu dem Kernstrategien des Unternehmens. Ein Ergebnis dieser Strategie ist z.B. der Aufbau und die Integration unserer digitalen Fabrik in der DAK. Der Grad der Digitalisierung lässt sich so beschreiben, dass wir schon lang die Phase, als es nur um Überschriften ging, verlassen konnten.

Welche digitalen Services der DAK werden von Patienten schon jetzt häufig genutzt?

Gregor Drogies: Ehrlicherweise muss vorab gesagt werden, dass bisher nur ein kleiner Anteil unserer Versicherten aktiv und kontinuierlich unsere digitalen Produkte nutzen. Wir sehen aber, dass die Zahl kontinuierlich zunimmt. Ganz klar vorn bei den digitalen Angeboten sind die Präventionsprodukte und Services zur Kommunikation mit uns. Eine Überraschung bescherte uns übrigens unserer selbst entwickelter Pflegecoach für die Angehörigen von Menschen, die pflegbedürftig sind. Hier erhalten wir von den Nutzer*innen sehr positive Rückmeldungen über dessen Sinnhaftigkeit.

Digitalisierung bedeutet für Patienten nahezu unendlichen Zugang zu Informationen. Erwartet uns eine Welle der digitalen Hypochondrie?

Gregor Drogies: Wir werden uns voraussichtlich auf eine neue Qualität der eHypochondrie einstellen. Bisher war das schlimmste was man machen konnte über Dr. Google oder über unqualifizierte Forumsmeinungen zu informieren. Hierzu hatte sich in den letzten Jahren eine gewisse Skepsis bezüglich der Verlässlichkeit entwickelt. Nun drängen immer mehr AI basierte Modelle auf den Markt, die damit werben valide zu sein. Hier wird den Nutzern eine nicht gegebene Sicherheit und Präzision versprochen. Denn die Systeme weisen nicht verständlich auf das Problem der falsch positiven Ergebnisse hin oder darauf, dass ein Erkrankungsbild nicht valide und vollständig abgebildet ist.

Daraus entstehen dann schnell Situationen in denen dem Nutzer gesagt wird bei einem gewissen Prozentsatz eine diagnostische Abklärung notwendig sei, die aber schnell interpretiert werden kann als: Sie haben möglicherweise… Dies birgt die Gefahr einer höchst kritischen Verunsicherung des Nutzers, da er davon ausgeht, dass er eine richtig positive Antwort bekommt – falls Sie beim Lesen von richtig positiv gestolpert sind, gehören Sie schon zu dem Kreis, die möglicherweise Interpretationshilfe benötigen. Daher präferieren wir eher Lösungen, die von den Ärzten genutzt werden um ihre Diagnostik zu unterstützen.

Welches sind die größten Herausforderungen für den Datenschutz?

Gregor Drogies: Die größte Herausforderung für den Datenschutz – neben den technischen – ist, dass der Datenschutz solche komplexen Sicherheitsvorkehrungen und Verbote entwickelt, dass das deutsche Gesundheitssystem ihren Mitgliedern kein sinnvolles Angebot mehr anbieten kann bzw. darf. Jeder von uns aber die Angebote der Anbieter außerhalb der EU kennt und dann auf diese ausweicht, obwohl diese keine Sicherheit bieten. Somit ist die größte Herausforderung die Findung der Balance zwischen dem Schutz der sensiblen Daten und der Schaffung der Möglichkeit, dass aus den individuellen Daten wichtige Informationen für das Individuum werden (können).

Deutschland liegt im internationalen Vergleich bei der Digitalisierung in der Medizin ganz weit hinten. Welches sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?

Gregor Drogies: Ein Hemmnis ist, dass wir in Deutschland nur noch auf eine insuffiziente und veraltete Infrastruktur bauen können. Deswegen lassen sich zukünftig sinnvolle Lösungen selbst bei Konsens und gemeinsamen Wollen nicht umsetzten. Ein Hemmnis, über das in der Regel nicht gesprochen wird ist das der Disruptivität von digitalen Angeboten. Das wäre aber dringend notwendig, denn in der Regel birgt jede neue digitale Anwendung ein disruptives Potenzial, das zu Lasten etablierter Anbieter geht. Hier müsste ein Dialog darüber stattfinden wie eine Koexistenz aussehen kann.

Wie verändert die Digitalisierung das Arzt-Patienten-Verhältnis?

Gregor Drogies: Das können die Ärzte selbst viel besser einschätzen.

Die SMART Health Studie der Bertelsmann Stiftung weist Deutschland bei der Digitalisierung in der Medizin den vorletzten Platz in Europa zu. Was wären Ihrer Sicht nach die wichtigsten Schritte um aufzuholen?

Gregor Drogies: Ein gemeinsames Zielbild aller in der GKV, wie unser gemeinsames Zielbild ist und welchen Beitrag ein jeder dafür leisten will und kann wäre wichtig.

Was können wir von Erfahrungen anderer Länder lernen?

Gregor Drogies: Die skandinavischen Länder leben etwas vor, dass wir für uns übernehmen sollten. Und zwar, dass dort die Digitalisierung als Chance für die Gesellschaft & das Individuum verstanden wird. Dort wird sehr stark auf die Möglichkeiten geschaut, ohne die Risiken zu ignorieren. Und der Blick ist hier sehr stark auf die zukünftigen Möglichkeiten ausgerichtet. In Deutschland verträgt sich das natürlich wenig mit dem Gedanken des Perfektionismus.

Entmenschlicht die Digitalisierung die Medizin?

Gregor Drogies: Das würde sie nur tun, wenn Digitalisierung als reines Substitut gedacht würde. Wenn sie hingegen verstanden wird als Ansatz der Individualisierung, könnte sogar der Zustand erreicht werden, dass die Medizin sich wieder stärker auf das Individuum, seine Bedarfe und Fähigkeiten konzentrieren kann. Welchen Weg das Gesundheitssystem dabei einschlägt, hängt somit sehr stark davon ab, was wir alle gemeinsam wollen.

Welche Ängste stehen derzeit bei Ärzten und Patienten im Vordergrund?

Gregor Drogies: Welche Ängste im Vordergrund stehen können natürlich nur die Personen selbst beschreiben. In den Gesprächen mit Ärzten werden häufig die Vergütung und der zeitliche Aufwand thematisiert. Es besteht die Sorge, dass hier zusätzliche zeitliche Anforderungen auf die Behandler zukommen, denen aber keine Effizienzgewinne gegenüberstehen und sie damit allein gelassen werden. Ebenso das Einströmen ausländischer Anbieter in den Markt, speziell durch die neuen Möglichkeiten der Fernbehandlung. Bei unseren Versicherten spreizt sich die Meinung. Bei den digital affinen ist die Sorge eher, dass sie nicht in den Genuss der Möglichkeit kommen. Bei den Älteren, dass sie abgehängt werden bzw. einer entmenschlichten Medizin gegenüberstehen.

Welche digitalen Fortschritte werden aus Ihrer Sicht die Medizin am stärksten beeinflussen?

Gregor Drogies: Die Möglichkeit eigene Devices für die Krankheitsidentifikation und Diagnostik zu nutzen stellt in meinen Augen den größten Impact dar. Zwar sind AI Modelle technisch spannender aber wenn es darum geht, was liefert in der Summe den größten Beitrag, dann liegen die persönlichen Devices vorn. So können diese z.B. endlich eine einfache Lösung bieten die Dunkelziffern bestimmter Krankheiten zu reduzieren.

Die Digitalisierung eröffnet auch in der Diagnose unendliche Möglichkeiten. Wie kann man sicherstellen, dass in Zukunft diese Möglichkeiten sinnvoll selektiert werden?

Gregor Drogies: Mit einer 51 Prozentlösung des Gesetzgebers auf keinen Fall, das führt eher zum Gegenteil.  Sinnvoller ist es hier die bestehenden Zulassungswege zeitlich zu straffen und ein verbindliches Modell der Evaluation im Versorgungsalltag zu etablieren. Diese Diskussion findet aktuell auf den verschiedenen Ebenen des Gesundheitswesens statt. Eine Absenkung der Standards sollten wir nicht vornehmen, denn diese würde zu einer Senkung der Qualität gehen.

Lieber Herr Drogies. Vielen Dank für das spannende Gespräch und weiterhin Viel Erfolg bei der digitalen Transformation

Zuverlässige Monitoring- und Diagnosehilfen, die man immer bei sich tragen kann, sieht Gregor Drogies als eine der wichtigsten Entwicklungen für die Zukunft. Damit hätten die  Versicherten und Patienten mehr Einblick in ihren aktuellen Gesundheitszustand und dadurch auch mehr  Verantwortung, die eigene Gesundheit zu schützen.

 

Deshalb lautet meine heutige Whats Next Frage an alle Ärzte und Patienten:

Welche Leistungen wünschen Sie sich von der Krankenkasse der Zukunft?

Ich bin gespannt auf Ihre Meinung

Herzlichst Ihr Gerd Wirtz
www.facebook.com/Dr.Gerd.Wirtz

www.gerdwirtz.de

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